Wie die alten Ritter auf dem Wohlensee


Wiehernde Pferde, Menschen in glänzenden Rüstungen, die Lanzen bunt – an solche Szenen erinnern am Samstag die Bilder in Wohlen bei Bern. Die Jungen Bernburger und Bernburgerinnen versuchen sich an einer alten Tradition.

Zwei Menschen stehen sich auf zwei Weidlings gegenüber, beide mit einer Lanze in der Hand – stumpf, versteht sich. Ein Moment der Ruhe, bevor die Steuermannen und -frauen sich in Bewegung setzen und die Boote sich immer schneller aufeinander zubewegen. Ein dumpfer Aufprall, ein Schrei, ein Platsch und plötzlich steht nur noch einer der beiden auf seinem schwankenden Podest.

Susanne Kiener, Präsidentin der Gesellschaft zu Schiffleuten und Co-Präsidentin des Vereins Schifferstechen Bern.

«Wir führen hier heute ein Probe-Schifferstechen durch», erklärt Susanne Kiener, Präsidentin der Gesellschaft zu Schiffleuten und Co-Präsidentin des Vereins Schifferstechen Bern. Die jungen Bernburger und Bernburgerinnen seien vom Schifferstechen 2021 so begeistert gewesen, dass sie den Verein anfragten, einen Sommer-Event für sie zu organisieren.

Moment – Schifferstechen? «Ein Ritterturnier auf dem Wasser», erklärt Kiener. Zwei Weidlinge fahren aufeinander zu, jeweils ein Mensch am Ruder, einer am Steuer, einer mit der Lanze auf dem Podest. Wie bei den alten Turnieren ist das Ziel, den Gegner von Pferd – beziehungsweise vom Weidling – zu stossen. Wer zuerst fliegt, hat verloren.

«Ritterturnier des armen Mannes»

Eine Sportart mit einer langen Tradition. «Das Schifferstechen stammt vom Weidlingsfahren», sagt Martin Seiler, Präsident des Aareclubs Matte Bern und Co-Präsident des Vereins Schifferstechen Bern. Weltweit sehe man immer wieder die gleichen Boote, die seit Tausenden Jahren im Einsatz sind. Irgendwann seien dabei auch die «Ritterturniere des armen Mannes – heutzutage auch der armen Frau» entstanden: «Die Menschen hatten keine Pferde, weshalb sie eine günstige Art der Ritterturniere durchführten.»

Martin Seiler, Präsident des Aareclubs Matte Bern und Co-Präsident des Vereins Schifferstechen Bern.

In ganz Europa habe die Sportart Anklang gefunden – und begeistert bis heute die Menschen. «In Frankreich – beispielsweise in Sète – werden die Turniere teilweise sogar noch mit scharfen Lanzen durchgeführt», sagt Seiler. In der Schweiz allerdings bleiben die Waffen stumpf. Die Wasserfahrer betreiben hier das Schifferstechen neben ihrem eigentlichen Wettkampf- Sport zum Spass.

Schifferstechen in der Schweiz
In der Schweiz werden abwechslungsweise Schifferstechen in Basel, Zürich und in Bern durchgeführt. In Basel und Zürich wird ein Event von und für die Zunft durchgeführt, in Bern ist jedermann (und frau) herzlich willkommen – sogar spontan ist die Teilnahme möglich. Das nächste Berner Schifferstechen findet im Jahr 2024 in der Matte statt. Neben dem Schifferstechen alle drei Jahre führt Bern zudem jedes Jahr ein Probestechen durch.

Auf dem Wohlensee wird das Probe-Schifferstechen durchgeführt.

Seiler selbst ist auch ein professioneller Schifferstecher. Was ihn so an der Sportart fasziniert: «Das Schifferstechen ist eine geniale Art, den Menschen die Kultur des Weidlingsfahrens und Weidlingsbaus näherzubringen.» Der Steuermann oder die Steuerfrau braucht viel Können, damit der Stecher oder die Stecherin nicht bereits vor dem Kontakt mit der gegnerischen Lanze vom Podest fällt.

«Man muss unnachgiebig sein»

Zudem fasziniere Seiler auch die Feinmotorik, die er als Stecher braucht. Denn: Den Gegner vom Boot zu schupsen, klingt zwar einfach, ist es aber nicht. «Man muss den richtigen Zeitpunkt erwischen, um Spannung aufzubauen», sagt Seiler. Und auch das Zustossen will geübt sein: «Man muss unnachgiebig sein, bis es nicht mehr geht.»

Wer auf seinem Podest bleiben will, muss standhaft sein.

Trotz all dieser Herausforderungen steht beim Schifferstechen eines im Mittelpunkt: der Spass. Und dieser scheinen zumindest die Teilnehmenden am Samstag reichlich zu haben: Immer wieder ist der eine oder andere Siegesschrei zu hören. Und auch die Verlierer sehen meist nicht allzu traurig aus – immerhin kommen sie in den Genuss des kühlenden Nass.

Daneben hat der Verein Berner Schifferstechen aber noch andere Ziele: «Wir wollen die Tradition verbreiten», sagt Kiener. Das Schifferstechen – und die Kultur des Weidlingsfahrens und -bau – solle in Bern eine grössere Bekanntheit erlangen.

Das Schifferstechen lockt auch einige Zuschauer und Zuschauerinnen an.

Auch Seiler hat grosse Träume: «Mein Wunsch ist, an der Museumsnacht im Schwellenmätteli ein Freilichttheater zu machen.» Dabei solle die Matte so gezeigt werden, wie sie früher war. Heisst: Wie wurden Schiffe beladen oder entladen, wie wurden sie gebaut? Das Berner Schifferstechen dient unter anderem auch als «Vorarbeit» für diesen Traum: Je grösser die Bekanntheit, desto grösser die Chance, eine Ausstellung über die Kultur und Tradition des Weidlingsfahrens zu machen.

Berner Schifferstechen 2024
Die Vorbereitungen für das Berner Schifferstechen starten nächstes Jahr, angefangen mit einem Fundraising. Die Teilnehmenden wie auch Besucher und Besucherinnen können gratis an dem Event teilnehmen.

Wer verliert, muss selbst zurück an Land schwimmen.

Zuerst aber wird das Probestechen am Samstag genossen. Worüber sich Kiener besonders freut? «Dass wir so viele junge Leute – und vor allem auch Frauen – für den Sport begeistern konnten.» Sie hoffe, dass sie im 2024 am Schifferstechen einige von ihnen wiedersehen werde.

Internationale Präsenz

Neben den jungen Bernburger und Bernburgerinnen wird es am Schifferstechen wohl auch einige internationale Präsenz geben. «In Bayern konnten wir bereits mit einigen Schifferstechern und Schifferstecherinnen gute Kontakte knüpfen», sagt Kiener. Auch ansonsten seien sie noch auf der Suche nach internationalen Clubs.

Das Probe-Schifferstechen findet bei malerischen Wetter statt.

Nach dem Wettkampf sind die Amateur-Schifferstecher müde, aber glücklich. Und es geht gleich weiter mit dem Plausch: Die Teilnehmenden können bei einem gemütlichen Grillen den Abend ausklingen lassen.

Dieser Artikel ist ursprünglich auf jungfrauzeitung.ch erschienen.

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